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"10 Jahre spielfrei" - Ein ehemaliger Spieler zieht Bilanz

Michael W. (48 Jahre) feiert in diesem Jahr ein Jubiläum, er ist seit zehn Jahren spielfrei. Im persönlichen Gespräch erzählt er, wie er spielsüchtig wurde und wie er den Ausstieg geschafft hat.

Wann und wie sind Sie mit Glücksspielen erstmalig in Kontakt gekommen?

Das war schon im Alter von sieben oder acht Jahren. Mein Vater hat mich regelmäßig in einen Imbiss mitgenommen, dort hing auch ein Daddelautomat (Geldspielautomat, Anm. d. Red.). An dem durfte ich dann immer mit ein bisschen Klimpergeld spielen. Die Abende im Imbiss mit meinem Vater haben mir viel bedeutet. Eigentlich hatte ich kein gutes Verhältnis zu ihm, aber an diesen Abenden waren wir irgendwie gefühlstechnisch auf Augenhöhe, hatten eine gemeinsame Wellenlänge. Im Grunde waren das die einzigen Zeiten, in denen ich mich von ihm nicht unterdrückt fühlte.

Weil an diesen Spielautomaten ja normalerweise nur Erwachsene spielen, kam ich mir auch erwachsen vor. Das war eine richtige Aufwertung. Mit etwa zwölf Jahren bin ich alleine in eine Kneipe gegangen, um auch da an Automaten zu spielen. Die erwachsenen Gäste dort haben mir sogar auf die Schulter geklopft und gesagt, dass ich richtig gut spiele. Um die Spielverluste auszugleichen, habe ich immer wieder Geld von meiner Mutter geklaut. Später ging ich in dann Daddelhallen (Spielhallen, Anm. d. Red.). Wenn ich jetzt so zurückdenke, hatte da schon der Kontrollverlust begonnen: Nichts hat mich davon abgehalten, in die Spielhalle zu gehen. Das war ein richtiger Drang, ich musste da hin. Ich habe mich in dieser Zeit nur wohlgefühlt, wenn ich gespielt habe.

Wie ging es dann weiter?

Im Grunde habe ich durchgehend gespielt, während der Lehre und auch als ich meinen Zivildienst gemacht habe. Die Spielbeträge wurden größer, meinen Dispo habe ich immer bis zum Anschlag ausgenutzt. Wenn ich Geld hatte, habe ich es verspielt.

Als dann mein Vater starb, kannte ich gar keine Grenzen mehr und habe nur noch gespielt. Geklaut habe ich in der Zeit nicht, aber einen Versicherungsbetrug begangen, um an Geld zu kommen. Außerdem habe ich Kredite aufgenommen, um weiter spielen zu können. Heute weiß ich, dass ich ziemlich einsam war in diesen Jahren.

Wie hat Ihr Umfeld auf das Spielen reagiert?

Ich hatte lange Jahre eine Freundin, die ich später geheiratet habe und die auch die Mutter meines Kindes ist. Sie ist anfangs mit in die Spielhalle gekommen und hat sich dazu gesetzt, zum Teil über Stunden. Oft habe ich das Spielen aber auch verheimlicht. Meine Freundin machte sich finanzielle Sorgen, vor allem als sie dann schwanger war. Sie hatte Angst, dass uns durch das Spielen das Geld für das Nötigste, für Windeln zum Beispiel, fehlen würde. Ich nahm mir vor: Wenn das Kind da ist, höre ich auf. Fünf Stunden nach der Geburt stand ich aber schon wieder am Automaten.

Haben Sie in der Zeit des Spielens Ausstiegsversuche unternommen oder versucht, etwas an Ihrem Spielverhalten zu verändern?

Mit 18 oder 19 Jahren habe ich mich einmal einer Freundin anvertraut und ihr heulend gestanden, dass ich spielsüchtig bin. Als ich 21 Jahre alt war, bin ich dann zu einer anonymen Spielergruppe gegangen. Weil da zum Teil Leute mit viel härteren Geschichten saßen, dachte ich damals noch: Da gehörst du nicht dazu. Ich habe dann doch ein halbes Jahr nicht gespielt. Mein Spielverhalten reflektiert habe ich in dieser Zeit jedoch nicht, eher bin ich „mit der Faust in der Tasche“ an den Spielhallen vorbeigegangen. Als ich dann irgendwann in einer Disco einen Daddelautomaten sah, habe ich wieder angefangen und war schnell wieder auf dem alten Level.

Heute sind Sie spielfrei und das seit zehn Jahren. Wie haben Sie gemerkt, dass Sie etwas ändern müssen?

Zum Schluss hatte ich etwa 40.000 € Schulden. Das waren letztlich reine Spielschulden, denn ich habe mir sonst nichts geleistet, hatte beispielsweise auch kein Auto. Einen Kredit bekam ich auch nicht mehr und das Konto war hoffnungslos im Minus. Ich hatte zu Beginn des Monats gerade noch 150 €, die ich dann verspielt habe. Dann kamen die ganzen Rückläufe von den Überweisungen, die nicht gedeckt waren. Ich wusste nicht weiter und habe meine Mutter angerufen, um sie um Geld zu bitten, 2.000 €, um den Dispo etwas auszugleichen. Bis dahin hatte ich meine Mutter noch nie nach Geld gefragt. In diese Richtung wollte ich nie gehen, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Kurz nach dem Gespräch mit meiner Mutter rief mich mein Schwager an, der mich direkt auf das Spielen ansprach. In ganz ruhigem, aber glasklarem Ton tat er das, er hat mir quasi die letzten zehn Jahre um die Ohren gehauen. Er hat mir direkt ins Herz geredet, nach dem Gespräch bin ich zusammengebrochen. Jetzt war klar, dass ich etwas ändern müsste. Ich habe mich dann an die Aktive Suchthilfe e.V. gewendet, das war vor ziemlich genau zehn Jahren.

Was hat Ihnen bei Ihrem Ausstieg aus der Glücksspielsucht geholfen?

Am meisten haben mir die Erfahrungen in der Gruppe geholfen. Hier konnte ich alles aufarbeiten und mich und meine Verhaltensmuster erkennen und letztendlich auch verändern. Vorher hatte ich mir und meinem Umfeld immer wieder etwas vorgemacht, so etwas durchschaut eine Gruppe aber sofort. Ich sage immer: Ein Spieler kann einem Spieler nichts vormachen. Aber auch durch die Geschichten der anderen habe ich viel gelernt. Wenn wieder jemand mit einem Rückfall in die Gruppe kam, hat mich das erst mal erschüttert, aber hinterher war es immer hilfreich – für mich und den Betroffenen selber natürlich auch. Das kann ich allen ehemaligen Spielerinnen und Spielern raten: Wenn es zu einem Rückfall kommt, ist die Gruppe der entscheidende Anker.

Was haben die Erfahrungen in der Gruppe und ganz allgemein Ihre Auseinandersetzung mit dem Spielen bei Ihnen bewirkt? Wie haben Sie sich verändert?

Der erste Schritt war eine Art Kapitulation, das Eingeständnis vor mir und der Gruppe, dass ich so nicht weitermachen kann und dass ich ein echtes Problem habe. Das war natürlich schmerzlich, aber dadurch war ich auch total offen für die Hilfe der anderen und konnte sie gut annehmen. Auf Basis dieser Grundhaltung habe ich dann schrittweise gelernt, wie ich „funktioniere“ und war bereit, mich den Fragen zu stellen und auch mal Unangenehmes auszuhalten. In den ersten Jahren musste ich Orte, an denen ich früher gespielt habe, zum Beispiel den Kiez, meiden. Die Versuchung wäre zu groß gewesen. Ich hatte auch immer nur wenig Geld in der Tasche, gerade genug, um mir etwas zu Essen zu kaufen. Eine EC-Karte hatte ich auch keine mehr. All das hat geholfen, die erste Zeit durchzustehen.

Mittlerweile kann ich sagen, dass ich viel selbstbewusster bin als früher. Ich habe jetzt auch Hobbys, spiele Gitarre und fotografiere.

Menschen, die merken, dass sie die Kontrolle über ihr Spiel verlieren, rate ich, sich frühzeitig an eine Beratungsstelle zu wenden. Besonders empfehlen kann ich die Anonymen Spieler. An jedem Tag der Woche kann man dort zu einer Gruppe gehen. Alles, was dort besprochen wird, bleibt in der Gruppe, man kann also ganz frei über sich sprechen oder auch erst einmal nur zuhören.

Ich musste anfangs auch über meinen Schatten springen,um an einer Gruppe teilzunehmen, aber heute weiß ich, dass das letztendlich meine Rettung war.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Hilfe bei Glücksspielproblemen

Wenn Sie sich Gedanken über ihr eigenes Spielverhalten oder das eines Angehörigen machen, stehen Ihnen unterschiedlichste Hilfsangebote in Hamburg zur Verfügung. Eine gute erste Anlaufstelle ist die Helpline Glücksspielsucht (Montags bis donnerstags 10.00 bis 19.00 Uhr, freitags 10 – 15 Uhr, zum Ortstarif aus dem deutschen Festnetz). Die Beratung durch die Helpline ist anonym und vertraulich – es werden keinerlei Informationen an die Justiz, den Arbeitgeber oder an Angehörige weitergegeben.

Und hier finden Sie Adressen und Telefonnummern von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.

 

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