Healthy, cozy, manchmal auch risky: Interview mit dem Medienpädagogen und SUCHT.HAMBURG-Kollegen Sergej Klein über digitale Spiele
Healthy, cozy, manchmal auch risky: Interview mit dem Medienpädagogen und SUCHT.HAMBURG-Kollegen Sergej Klein über digitale Spiele
Sergej, du beschäftigst dich intensiv und auch schon seit längerer Zeit mit Digitalen Medien im Allgemeinen und dem Thema „Gaming“ im Besonderen. Was fasziniert dich persönlich an digitalen Spielen?
Bei mir hat dieses „Eintauchen“ und das immersive Erleben und Mitgestalten spannender Geschichten einen besonderen Platz in meinem Herzen. Aber ich schätze vor allem die riesige Auswahl an verschiedensten Formaten. Es gibt für jeden Zustand und jedes Gefühl das richtige Spiel da draußen. In besonders stressigen Zeiten greife ich zum Beispiel gerne auf sogenannte „Cozy Games“ zurück, die mich als Spielenden in eine warme kuschelige Decke packen – ohne Druck, „Mikrotransaktionen“ und „Lootboxen“.
Du sprichst „Mikrotransaktionen“ und „Lootboxen“ an. Was ist das genau und was macht das Risiko dieser Elemente in digitalen Spielen aus?
„Mikrotransaktionen“ sind ein Sammelbegriff für alle digitalen Inhalte, die in einem Spiel mit Echtgeld gekauft werden können. Das kann eine Erweiterung sein oder ein individueller Look. Erstmal nichts Schlimmes - ist ja freiwillig. Sobald hier aber spielerische Vorteile gegenüber anderen Spielenden erkauft werden können, wird es problematisch. Denn hier wird Druck aufgebaut im Sinne von „Wenn du wirklich gut sein willst, musst du das kaufen!“. Und da liegt eine klare Gefahr sich diesem Druck hinzugeben und immer mehr Geld zu investieren. Bei „Lootboxen“ wird es noch problematischer. Dabei handelt es sich um rein zufallsbasierte In-Game-Käufe, bei denen wir nie genau wissen, was wirklich drinsteckt.
Was sind „zufallsbasierte In-Game-Käufe“ und was macht sie so problematisch?
„Zufallsbasierte In-Game-Käufe“, zu denen auch die besagten „Lootboxen“ zählen, sind die digitale Variante der kleinen Plastikverpackungen, die wir am Kiosk gekauft haben, um unser Sticker-Sammelband zu komplementieren oder unser Spieldeck mit neuen starken Karten zu bereichern. Wir wissen nie genau, was wir bekommen. Im Digitalen können die Unternehmen z.B. die Wahrscheinlichkeit, eine gute Karte zu ziehen, sehr einfach auch zu unseren Ungusten anpassen, ohne uns darüber in Kenntnis zu setzen. Wenn da noch der Umtausch in Spielwährungen als Bezahlsysteme dazukommt, wird es immer intransparenter und schwieriger den Überblick zu behalten - vor allem für Kinder und Jugendliche.
Was verstehst du in diesem Zusammenhang unter „Healthy Gaming“?
Wenn ich in stressigen Zeiten zu eher ruhigeren Spielen tendiere, die mir gut tun, dann ist das bereits der Grundgedanke von „Healthy Gaming“. Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen in einem Medium, das uns gerne mal mit blinkenden Anzeigen und einer Menge Action überreizen kann. Wenn wir uns weniger passiv treiben lassen, sondern mehr aktiv handeln, können wir unsere Mediennutzung insgesamt gesünder gestalten. Wir merken dann schneller, wann uns das Spielen eher schadet als nützt und wir zum Beispiel unsere Familie, Freunde und weiteren Hobbies vernachlässigen. Zu Zeiten in denen Mediensucht ein immer größeres gesellschaftliches Problem zu werden scheint, brauchen wir mehr Ansätze wie „Healthy Gaming“.
Bei Glücksspielen gibt es keine direkte Entsprechung des Begriffs „Healthy Gaming“. „Verantwortungsvoller Umgang mit Glücksspielen“ kommt dem vielleicht noch am nächsten. Wo siehst du Parallelen zwischen den Risiken von Gambling und Gaming, also zwischen Glücksspielen und Videospielen?
Die Glückspiels-Industrie hat sich schon immer gerne bei digitalen Spielen bedient, wenn es darum ging, die Nutzenden möglichst lange am Spiel zu halten. Der „flow“-Effekt, der uns auf einer perfekten Welle zwischen Über- und Unterforderung surfen lässt, funktioniert bei Videospielen besonders gut. Und je eher wir im „flow“ sind, umso schwieriger realisieren wir, was wir da gerade wirklich machen und ob wir nicht schon mehr Geld und Zeit investiert haben, als wir das wirklich wollten. Der finanzielle Druck in der Gaming-Industrie sorgt dafür, dass reine Spielverkäufe oft nicht mehr ausreichen und nach anderen Quellen gesucht wird. Und da landen wir schnell bei den schon beschriebenen „In-Game-Käufen“ und „Lootboxen“.
Insbesondere viele Eltern fragen sich, wann Gaming problematisch wird. Welche Anzeichen sollten sie ernst nehmen?
Zeit allein ist schon mal nicht das klarste Anzeichen für problematisches Gaming. Ihr Kind kann auch mal das Wochenende durchzocken und trotzdem das eigene Leben noch im Griff haben. Das klingt erstmal widersprüchlich, aber hier ist es erstmal viel wichtiger, mit den Kindern und Jugendlichen regelmäßig zu sprechen und sie bei der Reflexion zu ihrem Medienverhalten zu unterstützen. Wenn zum Beispiel viele soziale Kontakte zu Freunden abgebrochen werden, sich die Schulnoten drastisch verschlimmern und es immer häufiger zu Streitsituation rund um die Mediennutzung in der Familie kommt, sollten Sie als Elternteil nicht mir Ihren Sorgen allein bleiben und sich professionelle Beratung und Unterstützung suchen.
Was würdest Du Menschen raten, die merken, dass ihr Spielverhalten – ob bei Videospielen oder Glücksspielen – außer Kontrolle gerät?
Ihr habt schon mal das erste „Achievement“ und damit die „Selbsterkenntnis“ freigeschaltet! Das ist ein extrem wichtiger Schritt! Jetzt geht es darum, dass ihr mit euren Sorgen und Problemen nicht allein bleibt und euch bei den weiteren Schritten zu einem gesünderen Umgang Unterstützung holt. Nutzt doch gerne das Angebot von Automatisch-Verloren (wenn es um Glücksspiele geht) oder besucht uns auf mediencoach.info.
Weil du gerade euer Angebot „Mediencoach“ ansprichst, das vor Kurzem an den Start gegangen ist: Was genau bietet ihr an und wer kann sich an euch wenden?
Zunächst einmal alle, die sich einen gesünderen und kompetenteren Umgang mit digitalen Medien wünschen. Wir unterstützen z.B. Hamburger E-Sport-Vereine mit spielerischen Angeboten zur Gesundheits- und Medienkompetenzförderung und haben dafür auf der Gaming-Plattform Discord einen eigenen Server eingerichtet. Fachkräfte aus sozialen Bereichen können sich von uns kostenlos zu Trainer*innen für Medienkompetenz in ihren Einrichtungen fortbilden lassen und erhalten danach Unterstützung durch ein Train-the-Trainer-Netzwerk. Für Eltern und Erziehungsberechtigte haben wir direkt auf der Website kleine spielerische Anwendungen zum Thema Medienerziehung, die sie auch gemeinsam mit ihren Kindern erkunden können.
Danke für deine Antworten und viel Erfolg für den Mediencoach.